Wer hat Angst vorm schlummernden Leoparden?

Julkaistu teoksessa: Buschkühle, C-P.; Kettel, J. & Urlass, M. 2009 Horizonte. International Kunstpädagogik. Athena, Oberhausen.

Merta, Juha & Pullinen, Jouko

Wer hat Angst vorm schlummernden Leoparden?

Bei dem hier vorliegenden Text handelt es sich um ein auf Erfahrungswerten basierendes Manifest. Wir möchten sowohl ernsthaft als auch spielerisch uns wichtig erscheinende kunsterzieherische Aspekte darlegen. In unserem Artikel kreuzen und verflechten sich Gedanken zu Kunst, Forschung, Kunsterziehung und der zwischenmenschlichen Begegnung. In derselben Weise horchen wir auch auf unsere inneren Stimmen, die Stimmen des Künstlers, Forschers, Lehrers, die menschliche Stimme, ohne all diese Stimmen voneinander trennen zu können.

 

Hermes – der Bote

Unser auf der InSEA-Konferenz 2007 in Heidelberg gehaltene Vortrag beruht auf der seit 2003 begonnenen Zusammenarbeit mit Namen ”Der Bote”.

Uns beide interessiert die Erforschung pädagogischer und philosophischer Fragen mittels künstlerischer Methoden. Aus dem ”Boten” wurde eine Art Denkwerkstatt. Unserem Bild kann man mit philosophisch-bildlichen Studien begegnen, oder, wenn man will, mit ästhetisch-handwerklichem Prüfen. Als Hermeneutiker konnten wir in unseren Dialogen auch über das Leben ansich reflektieren. Letztenendes geht es ja eigentlich um Verstehen.

Der Name Hermeneutik beruht ja auf Hermes, dem Wanderer, der den Menschen die göttliche Botschaft vermittelte. Auch wir verstehen uns in gewisser Weise als Botenbringer.

Die Anfänge unserer Zusammenarbeit gehen auf die frühen 90er Jahre zurück, in denen wir beide als Lektoren für Bildende Kunst an der Universität Tampere arbeiteten. Damals experimentierten wir mit verschiedenen Unterrichtsprojekten, in denen wir dialogisch unterrichteten. Künstlerisch tätig wurden wir, als man uns einlud, für das Kunstmuseum Hämeenlinna eine Gemeinschaftsausstellung zu geben. Wir ließen uns auf den Versuch ein anstatt einer Gemeinschaftsausstellung eine dialogische Ausstellung zu erarbeiten, in der alle Werke sowohl gemeinsam erdacht als auch realisiert wurden. Es war unser Ziel Stärken und  Schwächen zweier Künstler, eines Malers und eines Grafikers, zu vereinen. So entstand M&P.

 

Dialogos

Das Wort ”dia-logos” bedeutet ´dazwischen seiend´. Die Idee ist, dass es etwas gibt, das von Zweien oder Mehreren herrührt, sich aber gleichzeitig zwischen diesen befindet.

Die Forschungsmethode des Dialoges, die Bedeutung von Dialog ist es,  eine vermittelnde Realität zu schaffen, in der sich die Welten des Forschenden und des Zuerforschenden und deren Sprachen treffen.[1]  So spricht man auch von einem Dritten Raum oder Ort, dem Dazwischenliegenden, in welchem die Früchte des Dialoges geerntet werden. Wir bezeichnen diesen Ort als das Niemandsland.

Ausgangspunkt sei, dass wir zugeben, die Begegnung des anderen Menschen – sei es des Lehrers, Forscherkünstlers oder Künstlerforschers – grundsätzlich zu scheuen. Vergleichbar einem Hasen, der bei Ansicht des Leoparden sofort bereit ist zu fliehen oder den Kopf in den Busch zu stecken. Ähnliche Gefühle sind sicher vielen vertraut. Bei der Begegnung zweier unbekannter Menschen scheint es immer etwas sehr intensiv sensibles und einmaliges zu geben. Hierin liegt wohl die Ursache für die Scheu vor der Begegnung des Anderen. Dem entgegen wirkt in uns der starke Wunsch, den Anderen kennenzulernen, was widerum voraussetzt, den Schritt in die Zone der Begegnung des Anderen  – also in das Niemandsland –  zu wagen.

Dialog bedeutet für uns gemeinsames Nachdenken, Realisieren und Evaluieren dessen, ob und  wann ein Werk vollendet ist. Ein Arbeiten am selben Tisch, der eine als Hand und der andere als Auge. In der Praxis also ”malen wir nicht beide auf die gleiche Leinwand”, sondern während der eine malt, beobachtet der andere und umgekehrt. In Hinblick auf das Endergebnis sind also beide Rollen von derselben Wichtigkeit. Obwohl es sich vielleicht so anhört, ist der grösste Gewinn des dialogischen Arbeitens nicht das Einvernehmen sondern die zwieträchtige Eintracht (concordia discors). Es gibt Situationen, in denen man gezwungen ist, einen Gedanken oder eine Idee erst einmal ruhen zu lassen, bei eigenen Gedanken zu verweilen oder auf die Gedanken des anderen zu warten, sogar beizeiten zu akzeptieren, dass nicht für alle Gedanken die Zeit schon reif ist.

Im Grunde liegt die Stärke des Dialoges in der Dialektik der Beteiligten, sogar im Missverstehen der Beteiligten. Mit Dialektik ist hier nicht ein konträres Gegenüber oder Gegeneinander gemeint, sondern eine Differenez, welche auch als haarfeine eine Spanung in die Begegnung zweier Menschen bringt.

Obwohl wir im Dialog zu verstehen versuchen, muss akzeptiert werden, dass ein vollständiges Verstehen des anderen Menschen unmöglich ist. Wenn der Andere einen Gedanken darstellt oder ihn auf den gemeinsamen Tisch zur Disposition bringt, versteht der andere diesen Gedanken immer auf seine ganz eigene Weise und nimmt seine eigene Interpretation vor. Diese differiert zwangsläufig von der ursprünglichen Version. So sieht auch der Autor des ursprünglichen Gedankens denselben verändert und in neuem Lichte, und verfolgt die Transformation seines Gedankens. Und wenn er Glück hat, sogar zum Besseren. Wichtig ist nicht, wer gewinnt, sondern warum die Kräfte gemessen werden.

Die Arbeit mittels Dialog zerstört und hinterfragt die Vorstellung vom bohemen und narzistischen Künstlergenie. Wir möchten mittels unseres Dialoges unsere eigene Rolle als professionelle Künstler ohne die belastende Konnotation eines romantischen Künstlermythos reflektieren. Als Angestellte und Lektoren einer Universität konnten wir die Montage unserem ”Boten”-Projekt widmen. So reservierten wir die Montage voll und ganz dem Schreiben, dem Bilderschaffen, dem Wetteifern, Spielen. Es gelang uns, diese sonst überflüssigen Tage fast ohne Ausnahme dem ”Botschaftenüberbringen” zu widmen. So bezeichneten wir spielerisch unsere Lösung als ”Montagsphilosophie”[2].

 

Pädagogischer Takt

Nach Martin Buber hat der Mensch die Wahl zwischen einer monologischen oder einer dialogischen zwischenmenschlichen Begegnung. Unsere Wahl wird bestimmt von einem Wunsch nach Respektierung des Anderen, nach Takt im Gadamerschen Sinne. Sowohl im künstlerisch-wissenschaftlichen Dialog als auch in der pädagogischen Begegnung erwartet uns immer etwas Unvorhersehbares, dessen Akzeptanz und Duldung gleichzeitig wesentliche und notwendige Voraussetzung für eine Realisierung von Bildung und Ethik sind. Die Erreichung von Bildung, einer vollkommenen Menschlichkeit des inneren Reifens erfordert Takt. Ebenso verlangt ein fruchtbarer künstlerischer Dialog nach Bildung, fruchtbar in dem Sinne, dass das Ethische ein Ästhetisches – hier das Kunstwerk – hervorbringe.

Diesen Takt im zwischenmenschlichen Miteinander definiert Buber in seinem Werk ”Ich und Du”. Er unterscheidet zwei grundsätzlich voneinander verschiedene Beziehungen: Ich–Es- und Ich–Du-Beziehungen. Die Ich–Du-Beziehung repräsentiert die echte, wahre zwischenmenschliche dialogische Begegnung, in der die erfahrene Beidseitigkeit eine gemeinsame Erfahrung ermöglicht, in der ein Perspektivenwechsel möglich und erlebbar ist. Das ist die Erfüllung der dialogischen Beziehung.

”Die Fähigkeit zum Dialog ist eine zwischenmenschliche Möglichkeit, die durch die Es-Beziehungen eingeschränkt wird”. Das Bubersche Ideal des Dialoges geht nicht konform mit einem romantischen Künstlermythos, bei welchem das Künstlergenie von seinem Elfenbeinturm herab die Welt als Objekt betrachtet und Menschen lediglich als Musen oder Mäzenaten wahrnimmt.

Beim bildlichen Lernen und im bildlichen Ausdruck wird die Individualität des Kindes betont. Für die Rolle des Lehrers ist es wichtiger die richtigen Fragen zu stellen als die richtigen Antworten zu geben. Der pädagogische Takt in der Lehrmeister-Gesellen-Beziehung ist verbunden mit Erkennen und Eingestehen der Besonderheit des Gesellen und der Unvorhersehbarkeit des pädagogischen Wachstumsprozesses. Unter diesen Voraussetzungen können wir eine neue Lebensform erreichen, die sich dann realisiert, wenn der ”Zögling” in der Lage ist, sich aus der Erziehungsbeziehung zu emanzipiert und Herr seines eigenen Lebens wird.

Auch wenn alle Leoparden aus der Distanz gleich aussehen, haben sie dennoch bei näherer Betrachtung individuelle Zeichnungen.

 

Spiel.

Es ist üblich, die Kunstwelt als metaphorisches Spielfeld zu betrachten und die Kunst als das Spiel dieses Spielfelds. Typisch für Kunstspiele ist, dass Ziele und Regeln erst im Spielmoment festgelegt werden. Obgleich wir im Gadamerschen Sinne betonen möchten, dass das spielende Subjekt selbst das Spiel ist und nicht der Spieler. Für das Spiel typisch ist, dass der Spieler sich in ihm aufgibt und dem Spiel quasi die Macht gibt, die Geschehnisse zu bestimmen. Spielen bedeutet demnach gespielt werden.[3]

So lässt sich der künstlerische Dialog auch leicht als Spiel oder ein dem Spielen ähnliches Geschehen sehen. Typisch für eine künstlerische Session ist, dass das Ziel , das fertige Kunstwerk schrittweise durch Versuch und Irrtum entsteht. So wird dann auch erst durch die Sicht beider beteiligten Dialogpartner ersichtlich, welcher Zug der richtige war: ob geglückt oder in die Irre führend. Die Vorgehensweise ist hierbei eine improvisierte Kommunikation, die man zum Beispiel mit der Jamsession einer Jazzband vergleichen könnte. Die Beteiligten erfahren dann geistige Befriedigung, wenn der Transfer fließend verläuft und das gemeinsame Wetteifern ein befriedigendes Endergebnis erbracht hat.

Spielen kann kreativ oder wild sein, aber nicht zufällig. Das Spiel ist auch auf gewisse Weise taktvoll und erfordert die gegenseitige Achtung der Spieler . Das Spiel verlangt gewisse soziale Sensibilität für das richtige Verhalten, wenn es auch für das Verhalten keine allgemeinen, genau für das jeweilige Spiel anwendbare Verhaltensregeln gibt. Die Wurzeln des Wortes ´Wetteifern´ finden wir im lateinischen ´com petire´, was soviel bedeutet wie ”gemeinsam suchen” . Im Dialog, im taktvollen Spiel, suchen beide Dialogpartner ihre eigenen Fähigkeiten, die Verwirklichung ihres eigenen Potentials und geben sich auch genügenden Raum für dieselbe. Wenn sich diese Ziele nicht überschneiden, entstehen zwei voneinander isolierte Monologe und der Dialog bleibt fruchtlos.

In der akademischen Tradition ist es üblich den Verstand der Wissenschaft und die Emotion der Kunst  zuzuordnen. In der bildenden Kunst vollzieht sich Lernen primär über Lebenserfahrung. Erfahrungen widerum können sich als Gefühle oder als Verstand zeigen (Ist es überhaupt von Bedeutung, diese beiden voneinander zu trennen?). Die Kultivierung einer kindlichen Neugier fördert eine Sensibilität im Erwachsenenalter.

Auch der Leopard spielt nicht umsonst.

 

Vom Verkosten des Lebens

Das wichtigste Arbeitswerkzeug des Wissenschaftlers ist das Sofa. Kreatives Schaffen ist eine Art maximierter Müßiggang. Es bedarf einer Leere des Geistes um eine optimale Effizienz zu erreichen. Die Leere ist somit die Voraussetzung für Erfüllung.

Der moderne Vagabund, der Flaneur, wandert gemächlich durch die Stadt beständig auf der Suche nach unterschiedlichsten Sinnesreizen. Bei der Anwenung seiner Strandungstheorie findet er Bedeutung und Bedeutendes in Straßencafés, Kunstmuseen, Hinterhöfen und Warenhäusern. Das Umherstreifen ohne Ziel, ohne Karte, ohne Plan führt ihn zu Bedeutung und Bedeutendem.

Im Rahmen der wissenschaftsphilosophischen Diskussion identifizieren wir uns lieber mit der Figur des aufmerksam umherstreifenden Kojoten als mit der Figur der von einem Ast aus die Welt beobachtenden Eule. Als bekennende Hermeneutiker wählen wir eine interpretative Weise der Weltsicht. Die traditionellen wissenstheoretischen Probleme rühren nach Ansicht des Hermeneutikers von einem falschen Verständnis von der Natur des Wissens. Als die Philosophen den Menschen primär als Beobachter verstanden, zeigte sich die Außenwelt und andere Menschen in erster Linie als Problem. Im Kämmerlein des subjektiven Bewußstseins öffnen sich für den verarmenden einsamen Beobachter die Türen zur Außenwelt nicht. Einen solchen Beobachter gibt es nur in der Phantasie der Philosophen. Denn die menschliche Existenz ist vom ersten Augenblick an ein In-der-Welt-Sein als auch ein Mit-anderen-Menschen-Sein. Wissen muss als Bestandteil und Form dieses Seins verstanden werden. Das Auf-der-Welt-Sein des Menschen bedeutet, dass er der Welt offen gegenübersteht und diese interpretiert. Er ist ein hermeneutisches Wesen, kein einsames kartesianisches Subjekt. Das menschliche Dasein konstituiert sich über seine Beziehungen in die Außenwelt und  zu anderen Menschen.

Als Ausgleich zum urbanen Umherstreifen sehnen zumindest wir uns nach Ruhe und Einsamkeit. Lektüre, Saunen, Wandern im Wald oder Pilzesuchen sind für uns Methoden, totale Stille zu finden, einen Ort, an dem man den Puls des eigenen Körpers wahrnehmen kann. Manchmal bietet auch die Stadt solche Orte der Stille, zum Beispiel in Antiquariaten oder Bibliotheken bei der zufälligen Lektüre eines Buches oder auf der Straße beim zufälligen Gespräch mit einem entgegenkommenden unbekannten Passanten.

Heutzutage werden Effizienz, Validität, externe Leistung betont. Alle haben es eilig, aber warum und wohin? Begehen wir den gleichen Fehler wie Sportler, deren Trainingsprogramm zu wenig Ruhezeiten enthält. Das bildliche Lernen erfordert viel Arbeit aber auch genügend Raum und Zeit zum Nachdenken, Entwickeln von Ideen und Abstrahierung im umfassenderen Kontext.

Der schlummernde Leopard schläft nicht.

 

Künstlerisches Forschen

In den vergangenen Jahren hat man in Finnland vermehrt über das künstlerische Forschen und über die Begrenztheit akademischer Examen diskutiert. An den Kunstakademien bekamen neben den theoretischen und pädagogischen auch künstlerische Examen gleiche Wertigkeit. Die Debatte hat einen neuen und im besten Falle einen besseren Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft eröffnet. Gleichzeitig hat sich eine neue Tür für eine neue Generation von Forschern und ihre neuen Forschungsansätze geöffnet.

Der Künstler, sei er denn Kojote oder Eule, distanzierter Beobachter oder teilnehmender Forscher, erforscht die Welt, in der er lebt. Jedes Kunstwerk legt Zeugnis ab von seinem Erschaffer, von seinem Kontext und seiner Zeit. Das vom Krieg berichtende literarische Werk erzählt wesentlich anschaulicher und lebendiger von der Realität des Krieges als eine historische Forschung.

Das künstlerische Forschen lässt sich der Traditon des qualitativen Forschungsansatzes mit seinem verstehenden, phänomenologisch-hermeneutischen Ansatz zuordnen. Für ein akademisches Examen allerdings reicht ein ausschließlich künstlerischer Ausdruck nicht aus. Der Künstler-Forscher, der auf dem Gebiet der Kunsterziehung forscht, muss schreiben und reden, reflektieren und bewerten, sowohl den künstlerischen Prozess als auch die Produktion. Ebenso ist es wichtig einen theoretischen Bezugsrahmen für sein künstlerisches Schaffen zu finden. Jeder Künstler hat seine eigene Handschrift als auch eine eigene Theorie zu seiner Praxis. Methodisch gedacht kann ein künstlerisch forschender Kunsterzieher genauso vorgehen wie ein Verhaltensforscher, der sich mit der Natur und den Bedingungen kunstpädagogischen Handelns auseinandersetzt. Er kann die erzählerische Natur der Bilder betonen oder aber sich unter die narrativen Wissenschaftler mischen.

Unsere eigenen Dotkorarbeiten repräsentieren eine neue finnische Wissenschaftstradition auf dem Gebiet der Erziehungswissenschaften und Kunstpädagogik[4]. Wir möchten den Begriff des künstlerischen Forschens dahingehend einschränken, dass es die Kunst als Forschungsmethode benutzt. In unserer Arbeit nutzen wir Kunst als Forschungsinstrument, nicht als Objekt der Forschung, wie zum Beispiel in der kunsthistorischen Forschung.

 

Flow.

Der von uns hoch geschätzte Wissenschaftler Elliot W. Eisner betont eine ästehtische Befriedigung, welche ein künstlerischer Prozess ansich zu produzieren vermag.[5] Zumindest in der finnischen Kunstdiskussion betont man die Qual und das Leid des künstlerischen Schaffens anstatt der Freude. Warum sprechen Künstler mehr von Angst als vom Flow, wenn sie über ihr künstlerisches Schaffen berichten?

Natürlich verstehen wir ein schopenhauersches Verständnis der Welt als ein unaufhörliches Jammertal und ein Verständnis des Künstlers als ein Herzensblut schwitzendes Genie, als ein dem romantischen Künstlerideal entsprechender  stellvertretend für die normalen Menschen leidender Sonderling. Jeder Künstler kennt höchstwahrscheinlich den Stress bei näherkommender Ausstellungseröffnung oder die bedrückende Natur eines Auftrags, wenn er denn einen solchen überhaupt bekommt. Vielleicht verdichtet sich gerade hierin die Qual des Künstlers. Nicht so sehr der Schaffensprozess ist das bedrückende sondern eher das Stocken der Künstlerkarriere und die damit verbundenen Existenzängste. Genau diese Sorgen, und weniger der Anspruch und die Belastung durch die kreative Arbeit ansich, mögen einige Künstler in die  nächstgelegenen Kneipen treiben, um dort die Sorgen wegzuspülen und sich den Erwartungen gemäß schlecht zu benehmen. Jetzt aber konzentrieren wir uns weniger auf die Randerscheinungen und auf die dahinterstehenden kunstpolitischen Entscheidungen, sondern vielmehr auf den kreativen Porzess ansich. Genau dieser ist Gegenstand unserer montagsphilosophischen Reflektionen.

Der von Mihaly Csikszentmihalyi gebildete Begriff des Flows, der die Freude des Tuns betont, hat sich sowohl im alltagssprachlichen Umgang als auch in der wissenschaftlichen und  künstlerischen Fachsprache etabliert. Damit ist die Versenkung des Menschen in eine Aufgabe gemeint. Die Konzentration ist so vollkommen, dass das Bewußtsein die umliegende Welt ausblended und das Fortschreiten mit ganz eigener Dynamik wie im Fluss oder Sog vonstattengeht. Der Flow,. wie jeder andere kreativ-schöpferische Zustand, kann im Leben eines Menschen an zentraler Stelle sowohl in der Freizeit als auch im Beruf, im Alltag stehen. Flow kann der Mensch in ganz unterschiedlichen Kontexten, vom schöpferischen Gestalten in der Kunst bishin zum Fußballspiel oder im interessanten zwischenmenschlichen Gespräch erleben.

Csikszentmihalyi differenziert 8 verschiedene Aspekte der Flow-Erfahrung. (1) Die Flow-Erfahrung geschieht uns dann, wenn vor uns eine Aufgabe liegt, die wir zu Ende bringen können. (2) Wir müssen uns darauf konzentrieren können, was wir tun. (3) Konzentration ist im Allgemeinen möglich, wenn die begonnene Aufgabe klare Ziele hat (4) und wir unmittelbares Feedback bekommen. (5) Der Mensch handelt völlig konzentriert aber ohne Mühe, und damit verdrängt die Konzentration Enttäuschungen und Sorgen des Alltags. (6) Die Freude produzierende Erfahrung lässt den Menschen fühlen, dass er Kontrolle über seine Aktivitäten besitzt. (7) Die Sorgen um einen selbst verschwinden, und gleichzeitig verstärkt sich bei Flow-Erfahrung das Ich-Bewußtsein. (8) Das Gefühl für Zeitabläufe verändert sich.

Stille Kenntnis

Die Flow-Erfahrung kann bei Tätigkeiten erreicht werden, die Kenntnis voraussetzen. [6] Die Tätigkeit muss im physischen Sinne aktiv sein und die Kenntnis braucht nicht rein physisches Können sein. Somit wird Kenntnis nicht unbedingt nur als reines Geschick angesehen sondern im weiteren Sinne als verstehendes Können. In der frühen Phase der westlichen Zivilisation sprach man von tekhne , womit ein im Tun und in der Tätigkeit inbegriffenes Überlegen und Reflektieren mitgemeint ist. Der Handelnde kann und versteht gleichzeitig ohne auf ein vom Handeln losgelöstes theoretisches Nachdenken zurückgreifen zu müssen.

Visuelle Kenntnis eröffnet sich aus zwei Richtungen: aus einer praktischen und einer  gedanklichen Kenntnis. Die Herstellung eines Bildes ist ein körperlicher Vorgang: unser körperliches In-der-Welt-Sein wird dort sichtbar, wo unsere Hand das Werk erschafft. Im Zusammenhang mit Kenntnis stehen Nachdenken, Verstehen, ein In-Augenschein-Nehmen der Bedeutungen und des Sinns unserer handwerklichen Spuren für das bildliche Werk.

In Anlehnung an Husserl: Wir bewegen unsere Hand und sind uns der Bewegung bewusst. In der Pädagogik der Bildenden Kunst spricht man von von einer Zusammenarbeit von Auge und Hand. Wir möchten die kommunikative und dialogische Natur der Elemente der bildlichen Kenntnis betonen. Können und Verstehen  verschmelzen im Schaffensprozess miteinander. Verstehen leitet jede Handbewegung und jede neue Spur ist gleichzeitig eine neue Herausforderung für das Verstehen. So ist das Verhältnis von Handeln und Denken dialogisch.

Am besten erreichen wir den Flow-Zustand, wenn die Fähigkeiten des Individuums und die Anforderungen der Tätigkeit im Gleichgewicht sind. Die Handlung kann nicht anspruchsvoll sein, wenn der sie Ausführende nicht die erforderlichen Kenntnisse besitzt oder die Aufgabe zu anspruchslos ist. Arbeiten in der Bildenden Kunst enthält viele rein Können und Geschick erfordernde routinemäßige Phasen: in der Vorbereitungsphase grundiert man den Malgrund, werden Farben gemischt, Druckpapiere angefeuchtet, usw. Das alles sind erst Vorbereitungen für eine eigentliche kreative Schaffensphase, in der wir so langsam in den Schaffens-Flow, in den Dialog von Hand und Denken, hineingleiten. Diese Fähigkeit könnte nach Michael Polanyi eine stille/ implizite genannt werden, in Anlehnung an seinen Begriff der tacit knowledge. Dieses implizite Wissen sei etwas erfahrungsbasiertes, etwas was permanent im Menschen wirkt, welches sich aber nicht mit Worten fassen oder beschreiben lässt[7]. Dieses stille wortlose Können steuert unsere Hände als auch unsere visuellen Lösungen. Es geht größtenteils um Stilbewußtsein, um das Verständnis von ästhetischen Werten und um die Definition des eigenen Ausdrucks und der eigenen künstlerischen Handschrift. Dieses implizite Können hilft entscheidend die in der bildenden Kunst zentrale Frage zu beantworten, wann denn ein Werk vollendet ist.

Im bildlichen Dialog zwischen zwei Menschen  ist die Kommunikation zwischen Können und Verstehen natürlich. Der eine ist die Hand und der andere das Auge. Wenn man sich allein mit einem Werk auseinandersetzt, ist man in der Gefahr werkblind zu werden. Da ist das Auge des Dailogpartners wichtig, welches besagt, wann es an der Zeit ist, das Werk als vollendet zu betrachten oder in eine neue Richtung zu gehen. Der Partner vermehrt auch das Können der handwerklichen Fähigkeiten. So sind doch Menschen immer verschieden. Es ist eine erniedrigende Erfahrung, die eigene Begrenztheit zu erfahren. Andererseits war es eine erweiternde und ermutigende Erfahrung, gemeinsam etwas auszuprobieren, was man alleine nie gewagt hätte. Können personifiziert man in der Kunst.Und auch diese Selbstverständlichkeit zu ignorieren und mit der Handschrift, dem Ausdruck des anderen zu arbeiten sowie die eigene Grenzenlosigkeit zu erleben, war eine bereichernde wie amüsante Erfahrung.

Obwohl Csikszentmihalyi betont, dass der Flow-Zustand dann erreicht wird, wenn die erkannten Handlungsmöglichkeiten des Individuums seinen Möglichkeiten entsprechen, so erreicht man doch die wirkliche künstlerische Befriedigung nur durch ein Überschreiten der eigenen Möglichkeiten. Nämlich dann, wenn man etwas erreicht, was man sich nie zugetraut oder von sich erwartet hätte. Das Endergebnis ist ein kontrollierter Zufall, etwas was man fertigstellen kann, welchem man entgegenschreitet, obwohl man zu Beginn nicht einmal wusste wohin die Reise denn geht. Der Kojote mag sagen: ”Ich habe meinen Weg nicht gefunden. Ich bin einfach drauflos gelaufen”. Das dialogische Arbeiten ist im besten Falle das Aufeinandertreffen stiller Experten. Das Brainstorming zu den Werken springt und wandert durch den Einfluss der beiden Dialogpartner in verschiedene Richtungen und das Endergebnis ist wegen der unterschiedlichen Erwartungen und Kenntnissprofile eine Überraschung für beide.

 

Konzentration – ein Eintauchen in den Fluss / Flow

Charakteristisch für den Flow-Zustand ist das Verschmelzen von Handlung und Bewußtsein. Wenn das Meistern der momentanen Herausforderungen das gesamte Können der Person beansprucht, dann ist seine Aufmerksamkeit gänzlich für diese Situation in Anspruch genommen. [8] Sie taucht in den Flow ein. Und sie tut es so, dass aus der Handlung eine spontane, bishin automatische wird. Der Mensch separiert sich nicht mehr von der Handlung, sondern ist eins mit ihr und unterbricht seine Handlung erst dann, wenn Hunger oder Müdigkeit ihn dazu zwingen. Genau für diese Art von Eintauchen oder Versinken wählte Csikszentmihalyi den Terminus Flow.

Wenn man in einer Handlung aufgeht, dann verschwindet das Bewußtsein über sich selbst. Die Tätigkeit ergreift ganz Besitz vom Tätigen, und sein Bewußtsein ist so vollkommen auf das Tun konzentriert, dass er sich selbst vergisst. Diese Konzentration kann auch als phänomenologische Reduktion bezeichnet werden. Wir selbst sind der Meinung, dass bei einem Arbeiten am und mit dem Bild der Zustand des phänomenologischen Sich Wunderns, also dem vollkommenen und nur auf das wesentliche Konzentriertsein, natürlicher sei als bei einem Schreibprozess.

Die unser Handeln umrahmende Theorie ist ja doch eine begriffliche. Während der Arbeit am Bild ist eine vollkommene Konzentration auf die Bewegung der Hand oder auf die Spuren derselben möglich, eine Konzentration auf die rein visuellen Elemente, ein sich Wundern, ein Vertrauen auf sein implizietes Wissen und Erfahrung über das Fortschreiten des Prozesses. Wir können auf den Körper hören, ohne dass der Assoziationsfluss der Gedanken unseren Geist beständig von seiner Aufgabe ablenken würde. So läßt sich denken, dass der Bildschaffende somit auch näher seinem zu untersuchenden Gegenstand ist. Er lässt zu, dass die Dinge sich ihm zeigen, so wie sie sind, ohne Vorausannahmen und  Vorverständnisse. Damit bei oder trotz einer Präsenz des Anderen das Ausblenden der eigenen Alltagsdenkgewohnheiten gelingt und die Konzentration auch tatsächlich zu Erkenntnis führt, bedarf es einer besonders ausgeprägten gegenseitigen Empathie und eines gegenseitigen Vertrauens. Das gemeinsame Arbeiten muss auch durch vorher festgelegte und durch beide Beteiligte abgesegnete Spielregeln und Ziele sowie durch geteilte ästhetische und ethische Ausgangspunkte bestimmt werden.

 

Post scriptum

 Wir haben eine Runde des Boten-Dialogs gespielt. Nach dieser Runde können wir  lediglich feststellen, dass das Spiel nicht beendet wurde. Es war schön, auf den  Heidelberger Philosophen-Weg zurückzukehren und die auf der Konferenz begonnenen Diskussionen über Kunst und Kunsterziehung zu memorieren und fortzuführen.

 

Csikszentmihalyi, Mihaly (2005) Flow – elämän virta. Tutkimuksia onnesta, siitä kun kaikki sujuu. Rasalas kustannus, Helsinki.

Eisner, Elliot

Gadamer, Hans-Georg (1979) Truth and Method. Sheed & Ward, London.

Polanyi, Michael (1966) The Tacit Dimension. Routledge & Kegan Paul Ltd, London.

Varto, Juha (1996) Lihan viisaus. Taju, Tampereen yliopisto.


[1] Varto 1996, 29

[2] Es ist notwendig sich zu verdeutlichen, dass ein künstlerisch-wissenschaftliches Arbeiten an nur einem Tag der Woche praktisch unmöglich ist, da die Gedanken natürlich auch außerhalb der expliziten Montagsphilosophie an jedem anderen Tag der Woche um das Thema und um Fragestellungen zu unseren Werken kreisten. Dienstag und Mittwoch standen unter dem Stern eines geistigen Katers und spätestens am Sonntag begannen wir uns mental auf den Montag vorzubereiten. Dennoch gelang uns die sog. Montagsphilosophie besser als wir uns je hätten vorstellen können. Das Arbeiten am Montag war von solch großer Intensität geprägt, dass wir uns an den übrigen Tagen ausruhten, vorbereiteten und andere Arbeiten verrichteten, jeder auf seine Weise. Es konnte passieren, dass unsere eigentlichen Arbeitsaufgaben als Lektoren zeitweilig mit einer unbeteiligten Routine erledigt wurden, da wir gedanklich mit unseren Ausstellungsarbeiten beschäftigt waren. Dann widerum war es zeitweilig notwendig gänzlich auf Distanz zum künstlerischen Schaffen zu gehen und  sich voll und ganz auf unsere Lehrtätigkeit und Freizeitbeschäftigungen zu konzentrieren, wobei das Unterbewusstsein fleißig weiterarbeitete. Wie auch immer, auf alle Fälle ließen wir das aus unserer Schulzeit herrührende Trauma der Sonntagsdepression mit der Angst vor der beginnenden Schul- oder Arbeitswoche hinter uns. Dank unseres Montagsprojektes überkam uns sonntags eine Vorfreude auf den Montagmorgen mit dem Wunsch, dass es endlich Montag sei und wir punkt neun Uhr motiviert an die Arbeit gehen könnten. Wie ist das möglich?

[3] Gadamer 1979, 95

[4] Juha Merta 2006 ”Awakening: from encounter to a hermeneutical interpretation in arts – sketching a portrait of primary teachers teaching visual arts”

Jouko Pullinen 2003 “Following a Master –  Visual Dialogue Seen from a  Hermeneutical Perspective”

[5] Eisner 2002

[6]  Csikszentmihalyi 2005, 83.

[7] Polanyi 1966, 4-25.

[8] Csikszentmihalyi 2005, 88.

 

 

Vastaa

Visual Artist, University Lecturer